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Werden wir zum »Homo Digitalis«? (German - English translation below)

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Werden wir zum »Homo Digitalis«?

Ein Projekt über gesellschaftlichen Wandel und den Menschen der Zukunft

Schon heute und verstärkt zukünftig gehen adaptive Avatare und Hologramme auf unsere emotionalen Bedürfnisse ein, Roboter erleichtern uns den Alltag und dienen uns sogar als Sexpartner. Wir streben danach, durch Technologien intelligenter und langlebiger zu werden: Was macht das alles mit uns als Mensch? Das Fraunhofer IAO, der Bayerische Rundfunk, ARTE und der ORF untersuchen dazu in einem großen Gemeinschaftsprojekt die Folgen der Digitalisierung und unseren Umgang mit zukunftsweisenden Technologien.

Seit Jahrzehnten stehen intelligente Programme wie im Film »Her«, die etwa als scheinbar perfekte Partner herhalten, ebenso im Fokus der Science-Fiction Filmemacher wie Cyborg-Fantasien und der Wunsch nach neuen technisierten Einblicken in unser seelisches Innenleben. In Werken wie »Inception«, »Blade Runner«, »Star Wars« oder »Terminator« wird deutlich, wie stark unsere Zukunft als Vision der Digitalisierung und Robotisierung des menschlichen Lebens gedacht wird. Gemeinsam haben viele dieser Zukunftsvisionen aber auch kritische Untertöne: Werden Maschinen den menschlichen Intellekt übertreffen, uns sogar im Alltag dominieren? Was passiert mit unseren gesellschaftlichen Verhaltensformen, mit unserer Moral und zwischenmenschlichen Kompetenz, wenn lernfähige Programme bis in die intimsten Regionen unseres Alltags vorstoßen?

Bilderunterschrift: Wie intim darf es werden? In »Die Zukunft der Sexualität«, der dritten Folge der Webserie des Projekts »Homo Digitalis«, wird untersucht, wie sich die privatesten Angelegenheiten unseres Alltags durch die Digitalisierung und neue Technologien bereits verändert haben und noch verändern könnten.

Eine Serie über die Zukunft

Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO bewegt sich zusammen mit dem BR, ARTE und dem ORF im Projekt »Homo Digitalis« an dieser thematischen Reibefläche und stellte Nachforschungen an – ein interaktiver Zukunftstest und eine unterhaltsame und informative Webserie sind das Ergebnis. Christiane Miethge, kreative Leiterin und Regisseurin des Projekts, erzählt: »Aus einem Gespräch beim Mittagessen mit der Kollegin Eva Aichinger und der Feststellung ›Da gibt es jede Menge Klärungsbedarf‹ entstanden die ersten Recherchen, dann eine halbstündige Dokumentation im BR und 2017 folgten schließlich die Arbeiten an Webserie und Zukunftstest.« Im Mai 2018 wird das Projekt mit einer Studie des Fraunhofer IAO und einer 60-minütigen Dokumentation abschließen. Produziert wurde »Homo Digitalis« von der Bilderfest GmbH im Auftrag von Bayerischem Rundfunk, ARTE und ORF.

Die sieben­teilige Webserie stößt in die Bereiche des maschinellen Lernens, der Gentechnik und Kybernetik vor, setzt sich aber auch mit techno-sozialen Phänomenen wie virtuellen Partnern in Japan, biologischen Gesundheits­implantaten, Datenschutzaspekten und der Frage nach der menschlichen Autonomie auseinander. Dabei präsentiert die Serie einerseits enthusiastische Kommentare wie von US-Entrepreneur und Geschäftsmann Bryan Johnson, aber auch so manche kritische Äußerung der Protagonistin Helen Fares. In diesem Sinne wird auf aktuelle Probleme und Entwicklungen meistens mit einem technikoffenen, jedoch auch reflektierten und an einigen Stellen pragmatischen Ton verwiesen. Die Serie macht so auf den geistigen, sozialen und körperlichen Wandel in der Gesellschaft und die Veränderungen in der Arbeitswelt aufmerksam. Zusammenfassend resümiert Bertolt Meyer, Tech-Psychologe und Professor an der Technischen Universität Chemnitz und selbst Träger einer bionischen Prothese: »Es liegt an uns, dafür zu sorgen, durch die Art und Weise wie wir diese Technik nutzen, dass die Chancen überwiegen und die Risiken minimiert werden.«

Viele Themen, viele Formate

Laut Miethge geht es bei »Homo Digitalis« vor allem darum, zu einem reflektierten Umgang mit neuen und bestehenden Technologien anzuregen. Dadurch könnten alltägliche Techniknutzer*innen animiert werden, sich mit den Chancen und Risiken auseinanderzusetzen – an kontroversen Debatten hinsichtlich der Folgen der Digitalisierung wie digitale Demenz, soziale Entfremdung, steigende Technikkompetenz oder die schnellere und einfachere Kommunikation teilzuhaben. Und das Thema bewegt: Sowohl die hohen Klickzahlen im Online-Bereich als auch positive Rückmeldungen – auch von älteren Menschen – zeigen das große gesellschaftliche Interesse am Thema. Das produzierte Material wird inzwischen sogar an Schulen im Unterricht eingesetzt, um Schülern einen reflektierten Zugang zu den Themen zu vermitteln. Und auch das ARS Electronica Festival in Österreich zeigt »Homo Digitalis« in seiner Dauerausstellung.

Wie sehr das Projekt aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und Reibungsflächen tangiert, zeigt auch der wissenschaftliche Anspruch: Ein interaktiver Zukunftstest, über den wir bereits an anderer Stelle berichtet haben, bietet spielerisch die Möglichkeit zur Selbstreflexion und ist weiterhin online verfügbar.

Die zugehörige Studie

Die zugehörige Studie soll über verschiedene Fragestellungen rund um die Digitalisierung Aufschluss geben. Erste Zwischenergebnisse wurden dazu bereits durch das Fraunhofer IAO veröffentlicht, um das aktuelle Thema »Arbeitswelten der Zukunft« aufzugreifen. Kathrin Pollmann, eine der Hauptverantwortlichen der Studie und Mitbegründerin des Projektes, erläutert, wie ambivalent unsere Haltung ausfällt, wenn es darum geht, Roboter in unsere Arbeitswelten zu integrieren: »Zwar stimmte die Hälfte der Befragten dafür, dass Roboter zukünftig ›beim Problemlösen, Entscheiden und Verbessern von Prozessen‹ unterstützend mitwirken sollen, aber Tätigkeiten, die körperlich anstrengender oder stupide sind, dürfen gerne komplett von Robotern übernommen werden.« Doch: »Teamwork, Kommunikation und Kundenkontakt sind Bereiche, die klar in der Verantwortung des Menschen liegen«, so die Wissenschaftlerin.

Zukunftsvisionen

Wie geht es nun weiter? Der Erfolg des Selbsttests – inklusive Chatbot auf Facebook – und der Webserie haben gezeigt, dass das Thema Digitalisierung und ihre Folgen einen gesellschaftlichen Nerv getroffen hat. Das Fraunhofer IAO wird deshalb im Mai 2018 die vollständigen Resultate der Studie in digitaler Form veröffentlichen und allen Interessierten so Einblicke in bestehende Zukunftstrends gewähren. Auch wichtige Erkenntnisse werden hier auf InnoVisions präsentiert. Auch eine TV-Dokumentation, die zwar nicht auf die Wandlung der Arbeitswelt, dafür aber fokussierter auf Veränderungen im körperlichen, geistigen und sozialen Bereich eingeht, wird zeitgleich im Bayerischen Rundfunk, bei ARTE und im ORF zu sehen sein. Miethge und Pollmann führen außerdem aus, dass sie Interesse an Folgeprojekten hätten: »Das würde die Fortsetzung einer seit 2016 erfolgreichen Zusammenarbeit bedeuten, die ›Homo Digitalis‹ thematisch in weitere Bahnen lenken könnte, etwa in Bezug auf das digitale Landleben oder andere kulturspezifische Ansätze.« Um die Folgen der Digitalisierung auf unseren Alltag näher zu beleuchten und dem Thema eine größere öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen, wäre auch eine Kollaboration mit weiteren Medienpartnern sinnvoll.

Bildunterschrift: Virtuelle statt reale Freunde? Moderatorin Helen Fares erkundet in der ersten Folge der Webserie »Homo Digitalis«, wie es sich anfühlt, wenn die eigene Freundin plötzlich als Hologramm erscheint und wie die Zukunft der Freundschaft aussehen könnte.

So könnten andere aktuelle Fragen adressiert werden: Wie kann der menschengerechten Digitalisierung des Alltags auf politischer Ebene begegnet werden? Welche Rolle spielen generationelle Unterschiede bei dem Umgang mit neuen Technologien, der Selbstgestaltung des Lebens oder der Berufsfindung? Wodurch lassen sich Diskrepanzen im Sinne des »digital gap« – beispielsweise bei älteren Bürgern, von Armut Betroffenen oder weniger technikorientierten ethnischen Gruppen – besser erklären?

Das Projekt hat bisher deutlich gemacht, wie hoch die Relevanz der gezeigten Themen ist und dass deren reflektiertere aber lockerere Aufarbeitung gut ankommt. Jetzt gilt es, das große Potenzial des Forschungsvorhabens weiter zu nutzen.

(mal)

English Translation

Are we becoming “Homo Digitalis”?

A project about social change and the human being of the future

Already today, and even more so in the future, adaptive avatars and holograms respond to our emotional needs, robots make everyday life easier for us and even serve as sexual partners. We strive to become more intelligent and longer-living through technology. What does all of this do to us as human beings? Fraunhofer IAO, Bayerischer Rundfunk, ARTE and ORF are examining the consequences of digitalization and our interaction with forward-looking technologies in a large joint project.

For decades, intelligent programs like the one in the film “Her,” which serve as seemingly perfect partners, have been central to science-fiction filmmaking, alongside cyborg fantasies and the desire for new technological insights into our inner emotional world. Works like “Inception,” “Blade Runner,” “Star Wars” and “Terminator” show how strongly our future is envisioned as one shaped by the digitalization and robotization of human life. Many of these future visions also contain critical undertones: Will machines surpass human intellect and dominate us in everyday life? What will happen to our social behavior, our morality and our interpersonal competence when adaptive programs penetrate even the most intimate areas of our daily lives?

Image caption: How intimate can it get? In “The Future of Sexuality,” the third episode of the “Homo Digitalis” web series, the project investigates how the most private aspects of our everyday lives have already changed and may continue to change through digitalization and new technologies.

A series about the future

Together with BR, ARTE and ORF, the Fraunhofer Institute for Industrial Engineering IAO explores this thematic friction point in the project “Homo Digitalis” and conducted extensive research. An interactive future test and an entertaining and informative web series are the result. Christiane Miethge, creative director and filmmaker of the project, explains: “From a lunch conversation with my colleague Eva Aichinger and the realization ‘There is a lot that needs explaining,’ the first research emerged. That led to a half-hour documentary for BR, and in 2017 the work on the web series and the future test began.” In May 2018, the project will conclude with a study by Fraunhofer IAO and a 60-minute documentary. “Homo Digitalis” was produced by Bilderfest GmbH on behalf of Bayerischer Rundfunk, ARTE and ORF.

The seven-part web series delves into areas such as machine learning, genetic engineering and cybernetics, but also examines techno-social phenomena like virtual partners in Japan, biological health implants, data protection issues and the question of human autonomy. The series presents enthusiastic commentary from figures such as US entrepreneur Bryan Johnson, but also critical remarks by protagonist Helen Fares. In this way, current problems and developments are discussed with a tone that is open to technology but also reflective and in some places pragmatic. The series draws attention to mental, social and physical changes in society and to developments in the working world. Summarizing, Bertolt Meyer, tech psychologist and professor at the Technical University of Chemnitz and himself the user of a bionic prosthesis, notes: “It is up to us, through the way we use this technology, to ensure that the opportunities outweigh the risks.”

Many topics, many formats

According to Miethge, “Homo Digitalis” aims above all to encourage a reflective approach to new and existing technologies. This could motivate everyday technology users to engage with opportunities and risks and to participate in controversial debates about the consequences of digitalization, such as digital dementia, social alienation, increasing technological competence or faster and simpler communication. And the topic resonates: both the high online view counts and positive feedback—including from older audiences—show the strong social interest. The material is now even used in school classrooms to give students a reflective introduction to these themes. The ARS Electronica Festival in Austria also features “Homo Digitalis” in its permanent exhibition.

The project’s relevance to current social developments and tensions is also evident in its scientific dimension. An interactive future test, which we have reported on elsewhere, offers a playful opportunity for self-reflection and remains available online.

The accompanying study

The accompanying study aims to provide insights into various questions surrounding digitalization. Initial interim results have already been published by Fraunhofer IAO, addressing the current topic of “future working environments.” Kathrin Pollmann, one of the key researchers involved in the study and co-initiator of the project, explains how ambivalent our attitudes are when it comes to integrating robots into the workplace: “Half of the respondents agreed that robots should support problem-solving, decision-making and process improvement in the future, but tasks that are physically demanding or monotonous may be completely taken over by robots.” However: “Teamwork, communication and customer contact clearly remain the responsibility of humans,” the researcher adds.

Future visions

What comes next? The success of the self-test—including a chatbot on Facebook—and the web series has shown that the topic of digitalization and its consequences has struck a societal nerve. Fraunhofer IAO will therefore publish the full results of the study in digital form in May 2018, giving anyone interested insights into existing future trends. Important findings will also be presented here on InnoVisions. A television documentary, focusing not on changes in the working world but instead on physical, mental and social transformation, will be broadcast at the same time on BR, ARTE and ORF. Miethge and Pollmann also note that they are interested in follow-up projects: “This would continue a successful collaboration that has been ongoing since 2016 and could lead ‘Homo Digitalis’ in new directions, such as exploring digital life in rural areas or other culture-specific perspectives.” To shed more light on the effects of digitalization on everyday life and to attract greater public attention to the topic, collaboration with additional media partners would also be beneficial.

Image caption: Virtual rather than real friends? Host Helen Fares explores in the first episode of the “Homo Digitalis” web series what it feels like when your own girlfriend suddenly appears as a hologram and what the future of friendship might look like.

This could also address further current questions: How can human-centered digitalization of everyday life be approached at the political level? What role do generational differences play in dealing with new technologies, shaping one’s life or choosing a career? How can discrepancies in the sense of the “digital gap”—for example among older citizens, people affected by poverty or less technology-oriented ethnic groups—be better understood?

The project has clearly shown how relevant these topics are and that a more reflective yet accessible approach resonates strongly. The next step is to further develop the great potential of this research initiative.

(mal)

Additional Information

This article was part of a larger series of articles featuring a highlight of the interactive tool and a slide-show focusing on different aspects of the study and project. The review and approval process included press officers and scientists. After a decision to restructure Fraunhofer Innovisions, the original and popular website, featuring the design shown in the article, is no longer available.